3. Januar 2018

Das Auto im Kopf

Besinnen wir uns mal wieder: Autofahren ist schlimmer als eine Sucht, so lautet der Titel eines Interviews, das Susanne Führer im Deutschlandfunk Kultur mit dem Verkehrsexperten Hermann Knoflacher geführt hat.

Das Auto hat sich in unserem Stammhirn eingenistet und bestimmt unser Handeln, unsere Vorlieben und unsere Politik, so der Tenor des Interviews. Weil das Auto so tief in unserm ganzen Denken verankert ist, machen wir unsere Welt fürs Auto, nicht für Menschen.

Rund elf Millionen Kinder leben in Deutschland. Die schleichen sich auf Gehwegen an Hauswänden entlang, damit die rund 62 Millionen Autos genügend Platz haben.

Autos stoßen giftige Gase aus, die Kinderlungen und Kinderherzen schädigen, und sie töten. Unsere vom Auto besetzen Gehirne nehmen diese Toten gleichmütig hin, nur damit wir weiter Auto fahren können. Weltweit bringen Autofahrende 1,2 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen um (in Deutschland gut 3.000). Fünf bis sechs Millionen töten wir durch Abgase. Zwanzig bis fünfzig Millionen Menschen verletzen wir jedes Jahr bei Verkehrsunfällen. Wir, indem wir Auto fahren. Die Eltern, die ihre Kinder im Auto zur Schule fahren, verhindern, dass ihre Kinder den Weg gefahrlos zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen können. Für unser Familienauto geben wir mehr Geld aus als für unsere Kinder. Und mit ihm schaffen wir eine Umwelt, die kinderfeindlich ist.

Knoflacher: "Beim Auto ist es überhaupt gar keine Frage, dass das Auto sozusagen den Menschen enthumanisiert, also autobilisiert hat. Dann entsteht ein anderes Lebewesen. Der Autofahrer unterscheidet sich ja vom Menschen wesentlich mehr als jedes Insekt, weil, es gibt kein Insekt, das sich im natürlichen Lebensraum so schnell bewegt, dass es sich selbst oder andere tötet. Es gibt kein Insekt, das den Lebensraum der Kinder opfert oder seiner Nachkommen opfert, wie es die Eltern tun."

Die derzeit viel beschworene E-Mobilität ändert am Grundproblem nichts. Sie macht vielleicht Innenstädte etwas leiser, aber ab ca. 40 km/h sind die Reifengeräusche lauter als der Motor. Eine Autobahn tost mit E-Autos genauso laut durch die Landschaft wie eine heutige. Feinstaub kommt hauptsächlich durch Reifenabrieb zustande, und den hat man unvermindert. Zudem sind E-Autos nicht kleiner als unsere heutigen Autos. Sie nehmen weiterhin unheimlich viel Platz weg, auf denen in Zeiten vor dem Auto Menschen lebten, einander trafen und miteinander redeten und Handel trieben. Weil man nicht mehr auf der Straße leben kann oder draußen auf dem Land, werden Wohnungen immer größer, in denen wir uns von Lärm und Abgasen abschotten. Und weil weniger Menschen in einer Stadt Platz haben, wenn wenige in immer größeren Wohnungen wohnen, ziehen wir aufs Land. Und dann brauchen wir Autos und Autostraßen, um in die Stadt zu kommen (oder zum Sportverein) und Menschen zu treffen. Die Innenstädte veröden, weil Läden an Parkplätze gekoppelt sind. Wir sehen die Welt nicht mehr, wie sie uns gefällt, sondern nur, wie sie dem Auto gefällt.

Wenn ein Mensch sein ganzes Leben einem Faktor unterordnet, dem Auto, dann  nennt man das Sucht. Das Auto braucht einen Parkplatz. Unsere Gedanken kreisen schon während der Arbeit darum, ob wir am Abend im Wohngebiet einen Parkplatz in der Nähe unserer Wohnung finden werden. Wir brechen früher am Samstag in die Innenstadt auf, damit wir dort einen Parkplatz finden. Man könnte auch mit dem Fahrrad fahren oder - ist die Strecke zu weit - mit dem Öffentlichen Nahverkehr. Das taten 1950 noch 65 Prozent der Menschen. Heute liegt die Quote beim ÖPNV bei 16 bis 18 Prozent. Denn das Auto ist verfügbar geworden. Fast jeder kann sich eines kaufen, öffentlicher Parkplatz an Straßenrändern scheint unbegrenzt und wird extrem billig zur Verfügung gestellt, oft sogar kostenlos, etwa von Einkaufszentren.

Was macht man, wenn von einer Sucht loskommen will? Man reduziert den Konsum auf Null. Man schafft sein Auto ab. Was macht man aber mit Menschen, die ihre Sucht nicht erkennen und auch gar nicht davon loskommen wollen? Man nimmt ihnen das Suchtmittel weg. Das ist der Grund, warum Appelle (ein freiwilliger Feinstaubalarm) keinen Erfolg haben. Die Sucht ist stärker. Bei manchen Menschen entsteht Panik, wenn sie nicht mit dem Auto fahren dürfen. Sie haben das Gefühl, nicht mehr in die Stadt zu können. Sie wissen nicht, wie man mit einer Stadtbahn fährt, der Gedanken löst bei ihnen Panik und Abscheu aus. Sie würden auch dann nicht auf den Öffentlichen Nahverkehr umsteigen, wenn er nichts kosten würde (abgesehen davon, dass sie den Stress mit dem Kartenautomaten nicht fürchten müssten). Sie nehmen auch nicht das billige und vergnügliche Fahrrad. Geld ist nicht das Problem. Eine Sucht lässt man sich was kosten, ohne darüber nachzudenken, ob das Geld für etwas anderes sinnvoller ausgegeben werden könnte.

Autofahren ist ein irrationales Verhalten, für das oft Begründungen angeführt werden, die im Einzelfall zutreffen, meistens aber nicht. Die meisten Menschen müssen in ihrem Auto nichts Schweres transportieren, keine gehbehinderte Mutter zum Arzt fahren. Die meisten sind auch keine Handwerker oder Pflegekräfte, die zum Dienst an anderen Menschen ausrücken. 80 Prozent der Autofahrten dienen nicht dem Lastentransport. Da wird im Auto nicht mehr transportiert als ein Mensch (plus 4 Sitze und einer Tonne Blech und Kraftstoff) und eine Tüte Lebensmittel. Diesen Menschen samt Tüte kann man genauso gut mit dem Fahrrad oder zu Fuß transportieren.

Kein Raum mehr für Fußgänger
Das einzige, was die Zahl der Autos in einem Wohngebiet oder in der Innenstadt reduziert ist der Entzug von Parkplätzen. Das hat sich in allen Städten gezeigt, die ernsthaft eine Verkehrswende versuchen. Menschen müssen und können lernen, dass das Auto nicht in der Nähe stehen und nicht jederzeit verfügbar sein muss. Dann steigen sie für kurze Strecken aufs Fahrrad oder gehen zu Fuß und steigen in eine Stadtbahn. Und sind hinterher viel zufriedener.

Parkplätze müssen nicht nur weniger werden, sondern auch teurer. (Zu den Kosten von Parkplätzen erscheint ein Post am 13.1.2018.) Autobesitzer zahlen bei Weitem nicht das, was Autostraßen, Ampelanlagen und Parkplätze die Stadt kosten. Schon gar nicht die gesundheitlichen Schäden und die Kosen der sozialen Isolation, für die unsere Autos verantwortlich wir mit unseren Autos in den Köpfen verantwortlich sind.

Und es ist ja nicht so, dass wir alle uns nicht immer wieder aufs Wesentliche besinnen und in ruhigen Gesprächen darauf kommen, dass wir uns Wohnstraßen und Innenstädte wünschen, wo Kinder spielen, Fußgänger sich frei bewegen können, wo es ruhiger zugeht, wo man sich trifft und gute und saubere Luft atmet. Wir sehen uns nach Vogelgezwitscher, Brunnengeplätscher und Bewegungsfreiheit. Wir möchten unsere Kinder springen lassen, nicht ständig auf Autos achten, nicht ständig Motoren hören. Wir möchten wieder in einer Gemeinschaft leben, Nachbarn treffen, nicht mehr so allein sein.

Knohflacher dazu: "Das heißt, hier zeigt sich, dass die Gemeinschaft einfach intelligenter ist als der – ich würde sagen – in den Exzess getriebenen Individualismus, der beim Autofahren entsteht. Man ist ja als Autofahrer im Prinzip immer gegen andere aggressiv oder man ist asozial, genau genommen. Keinem Menschen würde es einfallen, dass er andere mit karzinogenen Gasen besprüht. Aber im Auto passiert das, oder andere bedroht oder Kinder bedroht ..."

Er empfiehlt, die Autofahrer aus ihrer "infantilen Phase, in der sie sich noch befinden" heraus zu holen. Das bedeutet, aufhören, ihnen alle Wünsche zu erfüllen, sie in die Verantwortung für sich, unsere Kinder, unsere Städte und unsere Welt zu nehmen, das heißt, sie wenigstens an den Kosten zu beteiligen, die das Auto unsere Gesellschaft auferlegt. Das ist in der Bundespolitik noch viel schwieriger als auf Landes- und Stadtebene, denn das Auto in den Köpfen vieler Politiker erlaubt ja keine andere Politik als eine fürs Auto.

In allen Städten und Stadteilen, wo man für eine gewisse Zeit oder für immer die Autos verbannt hat, zeigt sich, dass Menschen wieder auf die Straße kommen, dass sie sich treffen und etwas miteinander machen. Alte sind nicht mehr so allein, Kinder können spielen. Und in den Geschäften brummt der Handel, "weil", so Knoflacher, "pro Quadratmeter Fläche kann ich wesentlich mehr Geldbörsen in Fußgängern unterbringen als in geparkten Autos. Da ist ja meist überhaupt kein Geld drin."

Oder anders gesagt: Autos kaufen nicht ein.

Link: Eine spanische Stadt wird Fahrradstadt
Link: Handel blüht auf - Times Square für Autos gesperrt
Link: EcoMobility - einen Monat autofrei

1 Kommentar:

  1. Zum Thema Stuttgart könnte das auch.................
    Hochschule Stuttgart und Fahrrad XXL fangen schon mal an


    https://www.radsport-news.com/markt/marktnews_107262.htm

    Gruss
    von_rAd_nach_B

    AntwortenLöschen